Klar weiss ich schon, was ich werden will.

Ganzes Interview mit Fabio aus der Activa 2022/1

von Petra Caviezel.

„Klar weiss ich schon, was ich werden will“.

Fabio und seine Mama Ladina sprechen mit uns über ihren
Alltag und ihre Bedürfnisse. Und darüber, was sie von anderen
Familien unterscheidet.

Ladina, wie hast du diese «üblichen Kindheitsphasen» mit Fabio erlebt?
Ladina: Sie sind viel weniger ausgeprägt als bei seinen Geschwistern. Das hat aber auch mit Fabios Charakter zu tun. Er ist sehr harmoniebedürftig und will es allen recht machen. Natürlich machen wir uns auch schon Gedanken über die Ab­lösephase, über die Berufswahl und über die Möglichkeiten, die es für Fabio gibt. Solche Gedanken machen sich wohl alle Eltern. Bei Fabio ist die Auswahl halt ein­fach kleiner, weil wir auch auf Wohnformen und auf die Betreuung achten müssen.

Fabio, weisst du denn schon, was du werden willst?
Fabio: Ja. Ich möchte Rangierarbeiter bei der RhB werden. Die hängen zum Beispiel die Wagen aneinander. Mein Papa hat zwar gesagt, ich soll wegen meiner Augen besser drinnen als draussen arbeiten.

Fabio besucht die Schule im Schulheim. War das für euch von Anfang an klar?
Ladina: Für uns war das klar. Fabio war damals auf sehr viele Therapien angewiesen, ca. acht bis neun pro Woche. Das wäre neben der Regelschule fast nicht machbar gewesen. Im Schulheim sind die Therapien in den Alltag integriert. Ausserdem werden die Kinder dort sehr individuell gefördert und es wird mehr auf die einzelnen Persönlichkeiten geachtet. Bei Fabio sind die Beeinträchtigungen nicht sofort sichtbar und er ist kommunikativ überraschend stark, vor allem in den Bereichen, die ihn interessieren. Trotzdem wissen wir, dass er im Schulheim am richtigen Platz ist.

Fabio, gehst du gerne zur Schule?
Fabio: Manchmal gehe ich gerne, aber manchmal bin ich auch gerne daheim.

Was machst du in der Schule am liebsten?
Fabio: Deutsch. Ich schreibe gerne. Ich schreibe Wörter und E-Mails an Mama. Lesen tue ich auch gerne. Ich habe ein iPad für die Schule, da sind spezielle Programme drauf, damit ich alles gut sehe.

Welche Klasse besuchst du jetzt?
Fabio: Ich gehe in die 5. Klasse. Nach sechs Jahren kommen drei Jahre Oberstufe und dann zwei Jahre BIK*. Dann bin ich schon 18.

Ladina: Genau. Bis dahin ist man in diesem geschützten Rahmen, nachher geht es weiter. Das ist für einige Familien schon etwas beängstigend. Aber es ist ein ähnlicher Weg, den auch Eltern von Kindern ohne Einschränkungen gehen. Es ist ein Teil vom Ablöse-Prozess.

*Berufsintegrationsklasse

Wirst du zu den Therapien während der Schule abgeholt?
Fabio: Zu den Therapien gehe ich meistens alleine. Ich weiss, wann ich wo sein muss. Ich bin meistens pünktlich. Ich habe eine Uhr. Und ich weiss auch die Pläne von meinen Mitschülern. Ich schaue da schon zu ihnen. Wir sind sieben Schüler und bei uns ist keiner im Rollstuhl. Und wir haben einen neuen Lehrer.

Ladina: die Klasse wurde im Sommer 2020 infolge der hohen Schülerzahlen neu gebildet.

Fabio: Ja, da hatte ich keine Freude. Ich wäre gerne mit Linus in der Klasse, aber das hat nicht geklappt. Ich bin damals mit meiner Lehrerin grad zum Chef ins Büro gegangen. Aber er hat gesagt, dass es nicht geht, mit Linus in der Klasse zu bleiben. Dafür hat er mir ein Foto vom neuen Lehrer gezeigt und er hat mir seine Emailadresse gegeben. Ich habe ihm geschrieben und er hat mir am Abend grad zurückgeschrieben. Ich kann jeden Mittag mit Linus Zmittag essen, das ist die Hauptsache.

 

Hast du neben Linus noch andere Freunde in der Schule?
Fabio: Ja. Noch einen Jungen und zwei Mädchen. Ich kann halt nicht so viel abmachen wie meine Schwester und mein Bruder. Das ist etwas mühsam, aber das ist halt so. Weil ich erst um 15 Uhr von der Schule nach Hause komme und dann immer sehr müde bin.

Was machst du sonst noch gerne?
Fabio: Wandern und Zug fahren. Und Postauto und Bus. Ich mag alles, was fährt.

Ladina, ihr wusstet vor der Geburt nichts von Fabios Krankheit.
Ladina: Genau, und das macht es nicht einfacher. Als frischgebackene Eltern hat sich das Leben sowieso gerade um 180 Grad gedreht. Und dann kommen diese zusätzlichen Herausforderungen. Vor allem am Anfang ist es schwierig herauszufinden, wohin man sich wenden kann. Es gibt so viele offene Fragen. Eigentlich wäre es das Beste, wenn einem während den ersten Monaten jemand zur Seite stehen würde. Jemand, der dir sagt, was du wann tun musst.

Macht Procap Grischun etwas in diese Richtung?
Ladina: Procap ist eine grosse Hilfe. Man kann sich zum Beispiel bei Abklärungen für die IV vorgängig informieren und beraten lassen. Die Beraterinnen und Berater geben gute Tipps zu den Angaben, die man regelmässig erbringen muss.

Wie sieht es mit der Freizeitgestaltung aus? Ihr habt ja noch zwei andere Kinder, die ebenfalls Bedürfnisse haben.
Ladina: Da gibt es wenige Unterschiede zu anderen Familien. Wenn der Altersunterschied grösser ist oder die Interessen unterschiedlich sind, ist die Freizeitgestaltung bei allen Familien nicht einfach. Der Unterscheid ist, dass es Dinge gibt, die wir gar nicht machen können. Zum Beispiel eine Bergtour mit richtigen Bergwegen. Somit ist die Auswahl deutlich kleiner. Entweder wir machen solche Sachen nicht oder wir teilen uns auf. Da muss man sich einfach arrangieren und das organisieren, was geht. Für Fabio ist es aber schon wichtig, dass wir gemeinsam etwas unternehmen. Grundsätzlich versuchen wir, seine Interessen einzubauen. Im Vergleich zu anderen Familien mit schwerer betroffenen Kindern ist für uns doch noch vieles machbar, bloss in abgeänderter Form.

Geht ihr im Winter auf die Piste?
Ladina: Ja. Fabio kann auf einfachen Pisten Skifahren, aber es ist sehr anstrengend für ihn. Jetzt, wo die beiden Jüngeren auf den grossen Pisten unterwegs sind, wird das schwierig. Ich habe den Dual-Skibob-Kurs gemacht. Jetzt können wir alle die gleichen Pisten fahren und gemeinsam Spass haben.

Fabio: Und jetzt macht Papa den Kurs auch. Ich bin gespannt, ob er auch so gut fahren kann mit dem Dual-Skibob wie Mama.

Was unterscheidet euch von Familien mit Kindern ohne Beeinträchtigung?
Ladina: Wir haben diese unbeschwerte Frühkindheit nicht erlebt. Da war die Diagnose nach drei Wochen und dann ist man mitten drin. Therapien, Abklärungen – alles ganz anders, als wir es uns vorgestellt hatten. Wir wussten nicht, wie es kommt und das wissen wir auch jetzt nicht. Auch wenn sich Fabio sehr viel besser entwickelt hat als erwartet. Zudem gibt es Dinge, die wir als Familie nicht gemeinsam tun können, weil sie für Fabio einfach nicht machbar sind. Schwierigere Bergtouren zum Beispiel. Ansonsten unterscheidet uns meiner Meinung nach nicht sehr viel von anderen Familien. Ich sehe auch meist die positiven Seiten. Es sind andere Dinge wichtig, man nervt sich nicht so oft über Unwichtiges. Und man schätzt das, was man tun kann, mehr.

Fühlt ihr euch in der Region aufgehoben? Gibt es etwas, das euch fehlt?
Ladina: Chur passt sehr gut für uns. Wir können alles zu Fuss machen, auch all die Therapien mit Fabio. Es gibt auch viele Sport- und Freizeitangebote, zum Beispiel BTV Behindertensport, Special Olympics oder die GKB Sportkids Specials. Ausserdem ist Fabios Schulweg kurz. Mit dem Schulbus ist er in 5 Minuten im Schulheim.

Fabio: Mein Freund kommt mit dem Taxi in die Schule. Ich bin früher mit dem Taxi in den Kindergarten gefahren. Da habe ich immer auf dem Holzbänkli vor dem Haus gewartet.